Wiarda wundert sich_20_Resilienz Unis

Shownotes

WENN ER SICH die politische Entwicklung in den USA anschaue, sagte Peter Benz, fühle er sich an Hongkong erinnert. Als er dort als junger Professor angefangen habe, habe es in dem Stadtstaat eine durchaus offene und pluralistische Gesellschaft gegeben. Bis die Regierung 2019 das National Security Law einführte. "Seitdem ist das Wissenschaftssystem kollabiert." Für ihn seien die Ereignisse in den USA seit Amtsantritt von Präsident Donald Trump die Hongkonger Abläufe auf Amerika hochskaliert.

Doch brauche man gar nicht mehr erschrocken über den Atlantik zu blicken, um sich große Sorgen zu machen: Mit dieser Bestandsaufnahme waren sich Benz, Chef der Bauhaus-Universität Weimar, und zwei weitere deutsche Universitätspräsidentinnen einig, die sich für die neue Podcast-Folge von "Wiarda wundert sich" mit Jan-Martin Wiarda verabredet hatten.

Die Wissenschaftsfreiheit sei auch in Deutschland bedroht, sagte Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig und Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Die USA zeigen uns, "dass wir eben keine Zeit mehr haben und dass wir uns Instrumente nicht nur überlegen müssen, sondern die auch einsetzen müssen, um uns dagegen zu schützen." Das müsse "in ganz schneller Zeit geschehen", dafür sitze man auch in der HRK zusammen.

Wenn man die unterschiedlichen Regionen vergleiche, scheine es beim Abbau der Wissenschaftsfreiheit eine vergleichbare Schrittfolge zu geben, sagte die Präsidentin der Universität Kassel, Ute Clement. Zuerst verschöben sich die Diskurse, im nächsten Schritt werde in bestimmte Wissenschaftsdisziplinen kein Geld mehr hineingegeben, weil man die nicht mehr wichtig finde. Und erst im dritten Schritt äußere sich der Verlust von Freiheit darin, dass Institutionen gekapert würden. "Dass man Hochschulräte anders besetzt, dass man Präsidien anders besetzt" – so dass die Institutionen sich gegen den Freiheitsverlust nicht mehr wehren könnten.

Darum, fügte Clement hinzu, stelle sie sich das Ende von Demokratie und Wissenschaftsfreiheit nicht so vor "wie die große Apokalypse, also man hat einen Wahltag und danach ist alles ganz schrecklich, sondern ich stelle mir das vor wie viele kleine, größere, parallele Auseinandersetzungen und Kämpfe. Manche von denen gewinnen wir, manche von denen verlieren wir und je weiter das natürlich voranschreitet, umso schwieriger wird es, irgendetwas zu gewinnen und dann nachher hat man keine Freiheit mehr."

Über das alte Bauhaus, sagt Benz, heiße es immer, es sei von den Nazis aus Weimar "vertrieben" worden. "Da stellt man sich gemeinhin vor, dass irgendwelche SA-Schergen durchs Hauptgebäude gerannt sind und die Leute rausgetrieben haben. Das war natürlich gar nicht so, sondern es war tatsächlich damals einfach nur eine rechtsgerichtete Landesregierung, die den Haushalt der Universität um 50 Prozent gekürzt hat, und da war es durch. Eine reine Finanzmaßnahme, und damit war das Ding erledigt."

Es war ein nachdenkliches Gespräch von drei Unispitzen, in voller Länge als Aufzeichnung nachzuhören. Es spannte den Bogen von den aktuellen Debatten zur Abwerbung von US-Forschern über Strategien, um in Deutschland das Schlimmste zu verhindern – bis hin zur Frage, was noch bliebe, sollten Rechtsextreme in einem Bundesland oder im Bund die Regierung übernehmen.

"Die politischen Forderungen, Spitzenforscherinnen nach Deutschland zu holen, ist nicht hinterlegt mit Programmen oder finanziellen Möglichkeiten", sagte Angela Ittel. Die Anforderungen an derartige Rekrutierungen, "das kennen wir alle aus normalen und regulären Berufungsverfahren“, könnten die deutschen Universitäten gar nicht bieten. "Deshalb ist das eine ganz gefährliche Diskussion."

Er hadere bis heute mit seiner Entscheidung, Hongkong zu verlassen, sagte Peter Benz. "Ich habe immer noch das Gefühl: Wenn ich geblieben wäre, vielleicht hätte ich irgendwie Freiräume schaffen können oder hätte irgendwie was tun können." Wahrscheinlich sei das eine Illusion, aber diese motiviere ihn umso mehr hier in Deutschland angesichts der aufziehenden Gefahren für Demokratie und Wissenschaftsfreiheit.

In Thüringen war die AfD bei der Landtagswahl im September 2024 mit 32,8 Prozent stärkste Partei geworden, das BSW kam auf 15,8 Prozent und zog in die Regierung ein.

In Deutschland sei er zu Hause, sagt Benz, "hier habe ich eine Bürgerpflicht und eine Pflicht, mich als Akademiker und als Präsident einer Institution dagegenzustellen. Und jetzt habe ich natürlich als Präsident einer Institution auch die Möglichkeit."

Nur: Wie politisch dürfen Universitäten dabei werden?

"Ich hätte ein Problem damit zu sagen, wir werden selbst zum politischen Akteur", sagte Ute Clement. "Wir haben an der Universität Kassel viel Erfahrung mit der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaft und Universität. Wir haben schon sehr lange solche Räume, bei uns heißt das Unilokal, mitten in der Stadt, wo dann solche Diskussionen stattfinden können. Und ich glaube, es ist schon wichtig, da, die Balance immer wieder herzustellen und nicht selber zu einem politischen Akteur zu werden im Sinne von Aktivismus."

Angela Ittel sagte, die Wissenschaft habe doch längst schon ihre Neutralität verloren. "Wir bemühen uns in der Wissenschaft mit empirischen Methoden, die Wahrheit zu finden oder uns ihr wenigstens anzunähern, und schon das wird im Narrativ der Trump-Regierung als linksextremistisch interpretiert."

In Hongkong, sagte Peter Benz, hätten die Universitäten in den vergangenen zehn Jahren, in denen dort die Demokratiebewegung wuchs, stets argumentiert, sie seien neutral, sie seien nicht politisch. "Wir machen Forschung, wir machen Lehre, aber alles, was da draußen passiert, geht uns eigentlich nix an. Und aus meiner Sicht haben damit die Hochschulen die Gesellschaft verraten." Das werde er als Unipräsident jetzt nicht machen, "das machen wir nicht als Universitäten. Abkapseln geht nicht. Wir müssen in den Diskurs einsteigen, wir müssen in den Streit einsteigen."

Und wenn irgendwann Rechtsextreme den Ton in einer Landes- oder Bundesregierung angeben? Wie könnten Universitäten dann noch ihre Wissenschaftsfreiheit bewahren?

Angela Ittel sagt, sie wolle sich nicht defätistisch anhören, "aber ganz viel anderes kann ich im Moment nicht anhören. Da müssen wir uns ganz große Gedanken drüber machen."

Im Faschismus habe man keine Freiheit mehr, sagte Ute Clement, und die Frage, wie organisiere man noch Freiheit im Faschismus, "da muss man sagen: Das geht dann nicht mehr."

Er weigere sich, "das mir vorzustellen, weil in dem Moment, wo ich anfange, es mir vorzustellen, fange ich auch an nachzulassen", sagte Peter Benz. "Insofern, nein, das werden wir verhindern und da werden wir alles dazu tun, dass das nicht so kommt."

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